Impact durch Lizenzierung

Prof. Karlheinz Brandenburg und sein Team haben durch das MP3-Format unser tägliches Leben, beispielsweise die Art wie wir Musik konsumieren, aber auch wie wir kommunizieren, grundlegend geändert. Doch wie hat es das Team geschafft, einen so hohen Impact mit seiner Forschung zu erreichen und was können andere Wissenschaffende daraus lernen? Im Interview mit Forschungsmanager Benjamin Müller (Fraunhofer IBP) spricht Prof. Karlheinz Brandenburg über die Erfolgsfaktoren hinter der MP3-Lizenzierung und erklärt, dass man kein Rockstar sein muss, um nach Autogrammen gefragt zu werden.

Prof. Karlheinz Brandenburg, Mitbegründer des MP3-Formats

Herr Prof. Brandenburg, mit welchen drei Worten würden Sie sich beschreiben?

Ich bin immer neugierig, will es nochmal wissen und manchmal bin ich noch zu ungeduldig, auch wenn das mit dem Alter abnimmt.

Was verstehen Sie unter dem Begriff „Impact“?

„Impact” ist für mich ein sehr allgemeiner Begriff und umfasst die Wirkungen, die eine Handlung haben kann. Diese Wirkungen können in verschiedene Kategorien unterteilt werden. Dazu gehören beispielsweise wirtschaftliche Aspekte, Auswirkungen auf das Leben der Menschen sowie auch auf messbare Daten oder die Umwelt.

Welches Ihrer Projekte hat aus Ihrer Sicht den höchsten Impact erzeugt?

Unsere Errungenschaften mit dem MP3-Format, das ist ganz klar. Viele Menschen geben uns die alleinige Verantwortung für den Erfolg in Erlangen. Doch um ehrlich zu sein: Wenn wir nicht zur richtigen Zeit mit der passenden Technologie am richtigen Ort gewesen wären, hätten kurze Zeit später unweigerlich andere das Ruder übernommen.

Was waren die entscheidenden Faktoren, die zu diesem großen Impact beigetragen haben?

Zu dieser Zeit wurden PCs immer performanter und kleiner. Zudem gab es schnellere Netzwerkverbindungen wie ISDN. Erst viel später realisierte ich, dass das Verständnis unseres Teams und unserer Partner für das Internet, seiner Möglichkeiten und sinnvolle Geschäftsmodelle wesentlich besser war als bei einigen Konkurrenten. Unternehmen wie Dolby hätten den Markt dominieren können, aber sie sind die Geschäftsmodelle falsch angegangen. Unser Wissen über die Vermarktung und die Geschäftsmodelle war neben der Technologie einer der entscheidenden Faktoren für den Impact der MP3-Technologie.

Wie sind Sie zu den Geschäftsmodellen gekommen, die diesen Erfolg gebracht haben?

Wir haben uns umgeschaut und die Aktivitäten anderer im Bereich Audio im Internet beobachtet. Zu dieser Zeit gab es eine Firma namens Progressive Networks. Ihr Geschäftsmodell sah vor, dass die Encoder kostenlos waren, aber für die Verteilung gezahlt werden musste. Wir haben erkannt, dass ein Modell, bei dem jeder PC-Nutzer zuerst zahlen muss, bevor er die Technologie ausprobieren kann, nicht erfolgreich sein wird und unser Geschäftsmodell hinter dem MP3 entsprechend darauf angepasst. Zu Bestimmung der Lizenzgebühren haben wir dann mit potenziellen Lizenznehmern gesprochen, um herauszufinden was noch als vertretbar anzusehen war. Außerdem haben wir schon früh kostenlose Decoder zur Demonstration als Demoware verteilt und so die Technologie zugänglicher gemacht. Nicht zuletzt war ein wichtiger Schritt, in die Lizenzverträge spezifische Klauseln aufzunehmen, die PCs auf eine Art und Weise definierten, die Smartphones, die damals noch in den Kinderschuhen steckten, ausschlossen. Daraufhin mussten die Unternehmen, die Smartphones herstellten, später deutlich höhere Gebühren zahlen als Computerfirmen, um das Decodieren und Abspielen von Inhalten zu ermöglich. Unter anderem diese Weitsicht bei der Aushandlung der Lizenzverträge hat dazu beigetragen, dass das MP3 Format wirtschaftlich so erfolgreich war.

Welche Lehren können Fraunhofer-Mitarbeitende aus den Schwierigkeiten und Herausforderungen ziehen, die Sie bei der Entwicklung des MP3-Formats bewältigen mussten?

Es ist essenziell, sich frühzeitig Gedanken über Patente zu machen. Möglichst viele (gute) Patente sollten angestrebt werden, sofern es die Finanzen zulassen. Zu Beginn war das eine Herausforderung für das Fraunhofer IIS, da es noch nicht über ausreichend finanzielle Mittel verfügte. In dieser Zeit habe ich gelernt, dass ein Durchbruch in der Forschung Geduld und Ausdauer erfordert. Es war eine Herausforderung, sich mühsam durch unbekanntes Terrain zu kämpfen, aber unser Vorteil war, dass wir frühzeitig schwarze Zahlen schreiben konnten. Zusammenfassend möchte ich betonen, dass es wichtig ist, durchzuhalten und stets vorausschauend zu agieren. Vor diesem Hintergrund ist vor allem auch die Leitung des Instituts entscheidend dafür, den Fortschritt zu fördern und die Bemühungen der Forscher zu unterstützen.

Sie hatten im Kontext der MP3-Lizenzierung Kontakt mit Microsoft und auch mit vielen anderen großen Firmen. Wie sind diese Kontakte entstanden?

Unsere Verbindung zu bedeutenden Unternehmen wurde durch unsere aktive Präsenz auf einschlägigen Konferenzen und durch wissenschaftliche Publikationen aufgebaut. Im Jahr 1994 allein besuchte ich neunmal die USA und nutzte jede Gelegenheit, um mit Entscheidungsträgern in Kontakt zu kommen und Gespräche zu führen. Dies ermöglichte uns, wertvolle Beziehungen aufzubauen und uns als kompetenten Ansprechpartner in unserem Fachgebiet zu etablieren.

An welcher Stelle hat Ihre Arbeit einen Impact erzeugt, der nicht in wirtschaftlichen und technologischen Kategorien liegt?

Als jemand, der als Kind und Jugendlicher viel Musik gemacht hat und gerne Musik hört, war es mein Wunsch, Musik besser verfügbar zu machen, egal wo man ist. Das ist, wie ich denke, ein nicht wirtschaftlicher Impact, der deutlich zu spüren ist und der einen kulturellen Wandel auf der ganzen Welt nach sich gezogen hat.

Welche Rolle hat das Team in Ihrer Arbeit gespielt und was können Sie anderen Forschenden bei Fraunhofer mitgeben?

Der Aufbau unseres Teams am Fraunhofer IIS lag in den Händen von Prof. Heinz Gerhäuser, der stets großen Wert auf gute Teams gelegt hat. Besonders positiv in Erinnerung geblieben ist mir, wie er persönlich vorbeischaute, wenn das Team am Wochenende Überstunden schob und Essen mitbrachte. Diese Geste zeigte uns deutlich, dass er das Engagement seiner Mitarbeiter wertschätzte und war damit ein wichtiger Erfolgsfaktor. Falls Forschende keine Begeisterung empfinden, könnte dies daran liegen, dass ihnen intern nicht ausreichend vermittelt wurde, welche Chancen ihre Arbeit birgt. Tatsächlich ist dies jedoch die primäre Motivation. Es ist bei Fraunhofer möglich, etwas zu tun, das bestenfalls die Welt verändert und im anderen Fall dennoch positive Auswirkungen auf das gesamte Umfeld hat. Dieses Gefühl von Begeisterung zu erzeugen ist meines Erachtens eine der wichtigsten Anforderungen an Führungskräfte und ein wichtiger Erfolgsfaktor für gute Teams.

Hatten Sie eine Art Mentor, der Sie auf Ihrem Weg begleitet hat?

Jein. Viele Dinge habe ich bei der ehrenamtlichen Arbeit bei den Pfadfindern gelernt. Dort hatte ich die Position des Gruppenleiters bzw. Stammesführers inne, wie es damals genannt wurde. Ich war Teil der Regional- und Landesleitung und hatte die wichtige Aufgabe, Menschen zu motivieren und sie zu etwas zu bewegen, obwohl ich keinen formalen Durchgriff hatte. Alles geschah auf freiwilliger Basis. Es war meine Herausforderung, sicherzustellen, dass die Menschen freiwillig etwas voranbringen. Diese Aufgabe ähnelt der Forschung sehr. Ohne die Motivation der Beteiligten bleibt alles auf der Strecke. Es ist entscheidend, dass alle motiviert sind und sich für das einsetzen, was sie tun wollen.  Vorbilder waren für mich Prof. Dieter Seitzer, der im Hintergrund stets die großen Zusammenhänge im Blick hatte. Er war für den Einstieg in das DAB-Projekt verantwortlich, gab wertvolle Tipps zu DFG-Anträgen und hatte wertvolle Verbindungen in die Industrie. Auf der anderen Seite spielte Prof. Heinz Gerhäuser eine herausragende Rolle beim Aufbau unseres Teams, wie bereits erwähnt.

Warum kann gerade Fraunhofer Impact erzielen?

Es liegt meiner Ansicht nach an der Kombination daraus, einerseits an der Wissenschaft dran zu sein und andererseits durch die wirtschaftlichen Zwänge zum Erfolg verdammt zu sein. Ein gemütliches Arbeiten ohne Ergebnisse ist bei Fraunhofer keine Option. Denn nur durch erfolgreiche Ergebnisse fließen Einnahmen in die Gruppe und Abteilung und ermöglichen somit weiteres Wachstum. Fehlen die Erfolge jedoch, droht das Aus.

Anfangs haben Sie gesagt, dass Sie es nochmal wissen wollen. Dies zeigt sich auch in Ihrem neuesten Projekt, Brandenburg Labs, das Sie 2019 ins Leben gerufen haben. Was haben Sie dort in den vergangenen vier Jahren gelernt?

Es ist unerlässlich, über eine erstklassige Technologie zu verfügen, um ein Produkt zu kreieren, das bei den Menschen einen wahren Wow-Effekt auslöst. Allerdings ist es ebenso wichtig, sorgfältig zu überlegen, wo und wie man es einsetzt, mit wem man spricht und welche Märkte man erschließen kann. Daher habe ich bereits früh, schon mit der zweiten Mitarbeiterin, die Kommunikation und PR als Gruppe in unserem Unternehmen aufgebaut – eine Strategie, die bei Fraunhofer erst spät erkannt wurde. Wir haben überall starke Wellen ausgelöst und ich verfolge dieses Konzept weiterhin mit Entschlossenheit. Es ist außerdem unumgänglich, dass wir uns auf Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus unterschiedlichen Ländern stützen, um einen Technologievorsprung zu generieren. Leider gestaltet sich dies in Deutschland aufgrund von Visa- und Diskriminierungsproblemen nach wie vor schwierig. Es ist für mich eine Pflicht geworden, politisch gegen den rechten Rand aktiv zu sein, der uns genau diese Menschen abgrenzt. Deutschland hat es bislang nicht geschafft, eine angemessene Verwaltung zu etablieren und eine Willkommenskultur zu schaffen, die den Umgang mit Menschen anderer Herkunft erleichtert.

Welche Veränderungen sind Ihrer Meinung nach in der Fraunhofer-Gesellschaft notwendig, um unseren Impact zu steigern?

Sowohl während meiner aktiven Zeit am Fraunhofer IDMT als auch im Nachhinein war oft die Rede davon, dass Fraunhofer als einheitliches Unternehmen wahrgenommen werden sollte. Ich persönlich denke, dass die Kleingliedrigkeit von Fraunhofer eine Stärke darstellt. Meiner Meinung nach sollte ein gut funktionierendes Institut, solange es sich an die Regeln hält, das tun dürfen, was es für seine Arbeit braucht und was gut funktioniert.

Was möchten Sie uns abschließend mit auf den Weg geben?

Es ist von großer Bedeutung, junge Menschen für die herausragenden Arbeitsbereiche bei Fraunhofer und in der Forschung zu sensibilisieren und zu begeistern. Denn hier kann man tatsächlich einen bedeutenden Einfluss ausüben und sogar die Welt verändern. Und wie ich festgestellt habe, muss man außerdem kein Fußballspieler oder Rockstar sein, um nach Autogrammen gefragt zu werden.